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6. Dezember, 4+1 Gedanken zum Advent

An jedem Adventssonntag und an Heiligabend veröffentlichen wir einen Adventsgruß – eine Andacht aus der Akademie. Zum 2. Advent schreibt Akademiedirektor Klaus-Dieter Kaiser über Zeiterfahrungen:

Die Zeit steht still. Eine merkwürdige Stille prägt die Adventszeit in diesem Jahr. Keine laute Musik auf den Straßen und Plätzen, kein Getümmel auf den Weihnachtsmärkten. Und der Lichterglanz wirkt in dieser vorweihnachtlichen Zeit auch sehr verhalten. Adventswochen wie aus der Zeit gefallen.

Analysen soziologischer und psychologischer Art stellen in den gegenwärtigen "Corona-Zeiten" eine zweifache und gegensätzliche Veränderung des Zeitgefühls der Menschen fest. Zum einen scheint die Zeit schneller zu vergehen. Das Virus verändert unser Zusammenleben in rasanter Weise. Auf engsten Raum zu Hause müssen Beruf und Familie in eine Balance gebracht werden. Zum anderen scheint angesichts der begrenzten Sozialkontakte die Zeit stillzustehen, ist festgefroren wie manches Bild bei den unzähligen Videokonferenzen bei schlechter Internetverbindung. Wenn aber die Zeit zum Stillstand kommt, dann sind wir in einer Endlosschleife von Wiederholungen gefangen. Dann geht es uns wie Tante Milla.

Kennen Sie Tante Milla? Tante Milla ist eigentlich eine liebenswürdige Person, vielleicht etwas verschroben. Aber das Zusammenleben mit ihr gestaltete sich plötzlich anstrengend. Denn Tante Milla will das ganze Jahr über Weihnachten feiern. Mitten im Hochsommer brennen die Kerzen am Christbaum in der Stube, die zugezogenen Vorhänge sperren die Sonne aus. Wenig begeistert knabbern die Kinder ihrer Familie an den Lebkuchen und wischen sich den Schweiß von der Stirn und denken sehnsüchtig an ein erfrischendes Baden im See. Stattdessen: Weihnachten als die immerwährend gleiche Tortur. Gefangen im Lockdown des Festes wie in einer Endlosschleife. Die Zeit steht still.

Zum Glück ist Tante Milla nur eine Erfindung des Schriftstellers Heinrich Böll. Er zeigt uns in dieser kleinen Geschichte, wie wichtig es ist, den Aufbruch zu wagen. Die Adventszeit eröffnet neue Horizonte. In den biblischen Überlieferungen wird uns erzählt, wie sich Menschen auf den Weg machen, das Gespräch untereinander suchen und so die Welt und ihr Leben deuten. Die Geburt eines Kindes wird angekündigt. Recht und Gerechtigkeit sollen so Einzug halten. Diese Nachricht setzt Menschen immer wieder neu in Bewegung. Ein neuer Anfang ist damit gesetzt. Zeit wird wieder als etwas Lebendiges erfahrbar. Und das nicht nur zur Weihnachtszeit.