Ein erinnerungskulturelles Projekt
Cartier, Chanel, Tiffany … für Luxuswaren ist der „Neue Wall“ Hamburgs erste Adresse. Noble Arztpraxen, renommierte Kanzleien von Rechtsanwälten und Notaren und andere Geschäftsräume befinden sich in der schmalen Straße. Gleich neben Rathaus und Börse.
Beste Lage war der Neue Wall mit seinen Kontoren und Geschäften auch schon vor dem Zweiten Weltkrieg. Doch bei Kriegsausbruch gehörte den hier ansässigen Gebrüdern Robinsohn ihr Mode-Kaufhaus nicht mehr. Die im Japangeschäft erfolgreiche Außenhandelsfirma des Exportkaufmanns Waldemar Horwitz war verschwunden. Und der Hutmacherin Alma Hammerschlag und ihrem Ehemann Herrmann, deren Geschäft im Neuen Wall 52 gelegen war, gelang 1940 im letzten Moment die Flucht über Sibirien nach Shanghai.
Die Robinsohns, Waldemar Horwitz, die Hammerschlags und zahlreiche ihrer Nachbarinnen und Nachbarn waren jüdischen Glaubens. Dutzende Unternehmungen in jüdischem Besitz gab es am Neuen Wall.
Die letzten 40 Inhaber wurden in den Jahren 1938/39 enteignet. Nur ein kleiner, aber besonders sichtbarer und prominenter Teil der rund 1500 Unternehmen jüdischer Bürger, die in ganz Hamburg liquidiert wurden oder neue Besitzer fanden.
Medienspiegel
Am 16. März 2024 berichtete das Hamburger Abendblatt ausführlich über das Akademie-Projekt "Beutezug am Neuen Wall"
Auch das Hamburg-Journal des NDR griff das Thema auf und informierte über "Neue Forschung zur NS-Vergangenheit am Neuen Wall" am 10. April 2024
Hier geht es zu einem Interview von nordkirche.de mit Akademiedirektor Jörg Herrmann über das Projekt "Neuer Wall" (11. April 2024)
Akademie-Direktor Jörg Herrmann im Podcast "Draussen mit Claussen" (Mai 2024) zum Projekt "Neuer Wall" hören Sie hier
Historische Fundstücke gesucht!
Hat aus Ihrer Familie jemand in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts am Neuen Wall gearbeitet? Steht auf dem Dachboden eine Kiste mit Knöpfen und dem Aufdruck „Robinsohn - Neuer Wall”? Lagern im Keller Dokumente, die mit der Innenstadtstraße in der NS-Zeit in Verbindung stehen könnten? Hat Ihre Großmutter den Raubzug am Neuen Wall miterlebt und davon erzählt? Wir freuen uns über jeden Hinweis!
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Dr. Jörg Herrmann
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22767 Hamburg
Zum Beispiel: Das Hutgeschäft Hammerschlag
Dem Ehepaar Alma und Hermann Hammerschlag gelang es am 24. Oktober 1940, mehr als ein Jahr nach Kriegsbeginn, Hamburg mit dem Zug in Richtung Osten zu verlassen. Über Berlin und Moskau gelangten sie nach Shanghai, wo sie am 9. November eintrafen.1943 kamen sie ins dortige Ghetto, die Stadt war von Japan besetzt, und mussten bis zum August 1945 bleiben.
Hermann Hammerschlag hatte von 1937 bis 1940 wegen angeblicher „Rassenschande” im Gefängnis gesessen. Das Hutgeschäft am Neuen Wall 52 / Ecke Bleichenbrücke, das gerade erst für 400.000 Reichsmark modernisiert worden war, wurde 1938 weit unter Wert „arisiert”.
Nach dem Krieg wanderten die Hammerschlags nach Südafrika aus. Beide waren Mitte der 50er Jahre über 70 Jahre alt und krank. Das Wiedergutmachungs-/Entschädigungsverfahren, dessen Ergebnis allenfalls einen Teil der finanziellen Verluste des Ehepaars abdeckte, dauerte trotz des Drängens ihres Anwalts viele Jahre.
Die Nazis beschönigten ihren Raubzug mit dem Begriff „Arisierung“. Von den 20.000 Juden, die zu Beginn der NS-Zeit in Hamburg lebten, wurden 9000 ermordet. Anderen gelang die Flucht.
Fast alle wurden zuvor ihrer wirtschaftlichen Lebensgrundlage beraubt. Die Akten zum zähen Ringen um Entschädigung nach 1945, das die überlebenden Opfer mit einer mitleidlosen Bürokratie führten, lesen sich erschütternd.
An dieses dunkle Kapitel der Geschichte erinnert am Neuen Wall fast nichts. Auch hier hatte in der Pogromnacht, am 9. November 1938, der Mob getobt. Heute finden sich kaum noch Spuren der Menschen jüdischen Glaubens, die damals hier ihrer Arbeit nachgingen.
Stolpersteine, die an die ermordeten Geschäftsleute von einst erinnern würden, finden sich vor den glitzernden Schaufenstern und den marmorverkleideten Hauseingängen selten. Sofern es sie gibt, sind sie in den Wohnvierteln verlegt, nicht vor den früheren Geschäftsstätten.
Viele gute Gründe für die Evangelische Akademie der Nordkirche, das erinnerungskulturelle Projekt „Neuer Wall“ zu starten. Denn welche Verbrechen diese Straße vor über 80 Jahren gesehen hat, ist der breiten Öffentlichkeit weitgehend unbekannt.
Das Projekt möchte dies bisher zu wenig beleuchtete Kapitel der Ausgrenzung und wirtschaftlichen Verdrängung jüdischer Bürgerinnen und Bürger am Beispiel dieser bekannten Straße zum Gegenstand öffentlicher Erinnerungskultur machen.
Bei dem Projekt geht es darum, Schicksale jüdischer Bürgerinnen und Bürger, die in der Hamburger Innenstadt tätig waren, beispielhaft zu schildern. Der Neue Wall steht hierbei nur exemplarisch für das Geschehen in Hamburg. Wir gehen dabei auch der Frage nach, wie der „Arisierungs”-Raubzug juristisch, moralisch und politisch aufgearbeitet wurde.
Unsere Recherchen werden von dem Hamburger Journalisten und Historiker Cord Aschenbrenner durchgeführt und stützen sich unter anderem auf die Arbeit des Historikers Frank Bajohr, der 1997 mit dem Buch „‘Arisierung‘ in Hamburg. Die Verdrängung der jüdischen Unternehmer 1933 – 1944“, den Grundstein gelegt hat.
Dem Projektbeirat gehören an:
Die Forschungsstelle für Zeitgeschichte der Universität Hamburg
Das Institut für die Geschichte der deutschen Juden
Die Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte
Die Landeszentrale für politische Bildung
Der Polizeipräsident i.R. Wolfgang Kopitzsch
Schulleiter i.R. und ehemaliger Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Hamburg Ruben Herzberg
Autor und Regisseur Michael Batz
Pastor i.R. Ulrich Hentschel
Das Projekt hat folgende Ziele